Geleitwort des Monats
April 2021
Die Worte des Monats geben Halt und informieren Sie über theologische Aspekte. Dieses Mal sind die Worte von Pfarrer i. R. Bernd Krebs.
Die Deutung des Todes Jesu gibt immer wieder Anlass für heftige Kontroversen. Das kann nicht verwundern. Denn die Deutungen, die sich in den Schriften des Neuen Testamentes finden, sind vielfältig und viel- schichtig. Der Apostel Paulus etwa benutzt das Bild des Passahlamms (I. Korinther 5,7), er spricht von Sühne, von Sündenvergebung und von der Wiederherstellung der Gerechtigkeit (Römer 3,25); er spricht von einem „fröhlichen Wechsel“, von einem Identitätswechsel, der sich zwischen Christus und dem sündigen Menschen ereignet (Galater 2,20) und er deutet die Taufe als eine Geschehen, bei dem die Getauften „in den Tod Christi begraben“ werden (um mit ihm wiederaufzuerstehen). Beim Evangelisten Markus begegnet uns die Metapher vom Lösegeld und vom Loskauf (Mk. 10,45), beim Evangelisten Johannes das Bild vom Weizenkorn, dass durch seinen Tod „viel Frucht“ (Leben) bringt und im Hebräerbrief ist Christus der Hohepriester, der das Volk reinwäscht von seinen Sünden und damit das Ende aller Opfer herbeiführt. Man könnte die Reihe fortsetzen. Die Mehrdeutigkeit hat zu allen Zeiten Theologen und Theologinnen herausgefordert, die unterschiedlichen Aussagen zu systematisieren und zu konzentrieren. Eine der folgenreichsten Versuche war (und ist) der des englischen Theologen Anselm von Canterbury (Cur deus homo – Warum musste Gott Mensch werden?), aus dem Jahr 1094. Anselm entwickelt, in Form eines Dialoges, die Deutung, derzufolge allein der sündlose Sohn Gottes mit seinem Tod am Kreuz die Genugtuung, d. h. den Ausgleich für die Sünde der Menschen leisten und das verletzte Recht wiederherstellen konnte. Anselms Argumentation ist streng juristisch und auf ihre Art rational; das macht bis heute ihre Anziehunsgkraft aus. Ihre Kehrseite ist jedoch, dass damit ein Bild von Gott als des strengen Gesetzgebers und Richters gezeichnet wird. Der protestantische Liederdichter Paul Gerhardt hat in seinem Lied Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld diese Deutung Anselms aufgenommen und in einer Weise zugespitzt, die viele Christen (und Nichtchristen) nicht erst heute als unerträglich empfinden. Muss man sie deshalb aus dem Kanon der Deutungen tilgen, wie immer wieder vorgeschlagen wird? Der Hamburger Theologieprofessor Hans-Martin Gutmann tritt dafür ein, die alten Deutungen nicht einfach beiseite zu schieben, sondern zu fragen, was sie heute bedeuten könnten. „Die Formel für unsere Sünden drückt eine intensive Beziehung zwischen dem Gebenden und dem, dem gegeben wird, aus. Gleichzeitig wird deutlich, dass diese Beziehung von seiten des Menschen nicht in Ordnung ist. Sünde steht für den Abbruch von Beziehung. Diese wird von Gott in Jesus Christus wieder geheilt.“ Die Sprache der Glaubenszeugen birgt viele Möglichkeiten, uns und unsere Existenz zu erkennen und zu beschreiben. Das sollten wir nicht preisgeben. Wir sind zugleich frei, Deutungen miteinander in Beziehung zu setzen, die frühere Generationen so nicht gesehen haben. Ich nehme dabei gern die Deutung des Apostel Paulus auf, der im II. Korintherbrief 5,19 schreibt: „Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich“ und hat uns zu Botschaftern „an Christi Statt“ gemacht. Gott stiftet, was wir uns nicht selbst und auch anderen nicht geben können, aber alle dringend brauchen. Er stiftet Vergebung, Versöhnung, Befreiung und Leben. Im Angesicht des Kreuzes erkennen wir das Böse, das uns trennt. Doch Gott hat es aufgehoben, zu unserem Heil. Das ist die tröstliche Botschaft des Karfreitags und des Ostermorgens. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie die Bilder und Metaphern der Bibel für sich wieder neu entdecken können.
Quelle: Gemeindebrief Neukölln, April-Mai 2012. Bernd Krebs